Vorwort Inhaltsverzeichnis Autor
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Einleitung


Michael Becker / Ruth Zimmerling



Es gehört wohl zum Entwicklungsverlauf der meisten Wissenschaftsdisziplinen, dass einzelne Themen vorübergehend gesteigerte Aufmerksamkeit erfahren oder Konjunktur haben, andere dagegen vernachlässigt werden oder gar in Vergessenheit geraten. Das mag von Fall zu Fall unterschiedliche Gründe haben: die Wahrnehmung neuer Phänomene im Forschungsgebiet, die Entwicklung neuartiger Forschungsmethoden oder das sich wandelnde Selbstverständnis einer Disziplin. Unterstellt man, dass sich die Identität eines Faches innerhalb dieses Prozesses nicht vollständig ändert, dann gibt es jedoch so etwas wie einen harten Kern dauerhaft präsenter oder stetig wiederkehrender Themen. Und zum harten Kern der Politikwissenschaft sollte das Thema des Rechts in seinem Verhältnis zur Politik zweifellos gehören. Eigentlich war die Bedeutung dieser Beziehung - zumindest in ihren Grundzügen - auch von Anfang an, spätestens jedoch seit dem Beginn der Neuzeit verhältnismäßig klar: Recht verdankt sich der souveränen Setzung durch einen Herrscher und gewährleistet den ihm Unterworfenen, in Frieden leben und kooperieren zu können. Es war Thomas Hobbes mit seinem Leviathan, der diese Verschränkung von Recht und Politik im heraufkommenden neuzeitlichen Rechtsstaat besonders deutlich herausarbeitete: Das positive Recht besteht demnach aus - im Idealfall: klaren, eindeutigen und zudem zwangsbewehrten - Regeln, die von einer legitimierten, nämlich zuvor allgemein autorisierten Instanz gesetzt werden. Dieses souverän gesetzte Recht soll dann ohne Reibungsverlust von Exekutiv- und Judikativinstanzen in konkreten Situationen angewendet werden.

Allerdings hält das Hobbes'sche Modell längst nicht für alle aktuellen Fragen des politisch-rechtlichen Themenfeldes Lösungen parat. Von seiner absolutistischen Präferenz einmal ganz abgesehen, macht es zum Beispiel - zeitbedingt - Ausführungen zur rechtlich geregelten internen, also föderalen Struktur eines Staates genausowenig wie zur Problematik der Anwendung rechtlicher Regeln durch eine autonome (Verfassungs-) Gerichtsbarkeit. Darüber hinaus bleibt unklar, ob das positive Recht inhaltlich nicht doch außerrechtlichen, überpositiven Maßstäben natur- oder vernunftrechtlicher bzw. moralischer Art genügen muss, um als legitim anerkannt zu werden. Auch macht Hobbes keine Angaben darüber, wie das Verhältnis zu anderen souveränen Staaten gestaltet werden sollte - obwohl sich natürlich die Konturen von eher "realistischen" internationalen Beziehungen aus den Grundannahmen seines nationalstaatlichen Modells der Souveränität erahnen lassen. Und nicht zuletzt: Das grenzen- bzw. alternativenlose Vertrauen des Leviathan in die Steuerungs-Ressource "Recht" ist inzwischen längst deutlich geringer als in der Frühzeit des Rechtsstaates. Die vorausschauende Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch das Recht wird als zunehmend schwierig erachtet; zumindest in einigen Politikfeldern wird mittlerweile sogar von manchen nur noch eine reaktive Schadensbegrenzung für möglich erachtet - von den (längst nicht immer im Voraus einkalkulierbaren) unintendierten negativen Folgen der Verrechtlichung in modernen Gesellschaften ganz zu schweigen.

Wenn diese Beobachtungen in etwa zutreffen, wäre zu vermuten, dass das Thema "Recht" in allen politikwissenschaftlichen Teilbereichen an prominenter Stelle explizit behandelt wird. Das ist jedoch keineswegs immer und überall der Fall. Nur leicht verallgemeinernd kann man sogar sagen, dass der Politikwissenschaft seit ihren Gründertagen das Recht in erstaunlichem Maße abhanden gekommen ist. Bereits ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Politikwissenschaft vermag die damit behauptete Entfremdung vom Recht zu unterstützen.



1. Von der politischen Philosophie zur Politikwissenschaft


In ihren frühen Jahren, d. h. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war "political science" in den USA bekanntlich ganz überwiegend diejenige Disziplin, die sich mit dem prinzipiellen Gehalt des damaligen US-amerikanischen politischen Systems auseinandersetzte, also mit den Grundsätzen der liberalen Demokratie. Ein maßgebliches Ziel der jungen Disziplin lag in der "politischen Bildung" der amerikanischen Gesellschaft, womit zugleich auch eine Beschäftigung mit der Verfassung und den darin festgeschriebenen unveräußerlichen Rechten sowie mit dem, was dies in konkreten Situationen bedeuten sollte, gegeben war. Allmählich sah sich das Fach jedoch einem erheblichen Veränderungs- bzw. Professionalisierungsdruck ausgesetzt (vgl. Ricci 1984), und zwar zum einen durch die Arbeitsteilung innerhalb der akademischen Disziplinen, zum anderen und vor allem durch die technologisch so erfolgreichen Naturwissenschaften. Denn die ursprünglich den humanities zugerechnete und vornehmlich an "klassischen" Fragestellungen orientierte Disziplin geriet zunehmend in das methodologische Fahrwasser einer empirischen Wissenschaft. Für eine empirisch ausgerichtete Politikwissenschaft aber waren Fragen der "guten Regierung" oder des "guten Staates" kaum mehr von Interesse oder sogar überhaupt nicht mehr wissenschaftlich beantwortbar - sie wurden zusehends in die Sphäre subjektiver Wertentscheidungen verabschiedet (vgl. dazu etwa Brecht 1959: 117-135). Folglich standen auch immer weniger (philosophische) Begründungen einer guten und durch "richtiges Recht" verfassten politischen Ordnung auf der Agenda des Fachs. Statt dessen rückte die Produktion von prinzipiell falsifizierbaren Aussagen über alle möglichen empirischen Aspekte politischer Systeme, darunter insbesondere über die Motivlage der zahlreichen politischen Akteure, in den Mittelpunkt der Analysen (Falter 1982).

Parallel zu dieser Entwicklung entstand ungefähr in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die politische Systemtheorie, die auch mit dem Ziel angetreten war, die ihrer Auffassung nach allenfalls begrenzte Brauchbarkeit des juristischen, auf Recht und Verfassung bezogenen Staatsverständnisses zu überwinden. Die Vorteile dieses neuen Ansatzes sollten sich z. B. auf dem Gebiet der Vergleichenden Regierungslehre zeigen, in dem in der Folge auch solche politischen Einheiten analysiert werden konnten, die keine oder jedenfalls keine entwickelten Rechtsstaaten verkörperten. Der Preis für diese nun umfassend für möglich gehaltene Vergleichbarkeit von politischen Systemen bestand jedoch u. a. in einer Distanzierung von der spezifisch rechtlichen Verfasstheit bzw. Operationsweise politischer Systeme - die systeminternen "Umwandlungsprozesse" etwa nahmen Gesetzgebung und Rechtsprechung nur noch ganz allgemein als rule making und rule application wahr, so dass die Besonderheiten von Rechtssystemen und -regeln in der Folge ausgeblendet wurden.1

In Deutschland wies die Politikwissenschaft oder, wie es für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts eigentlich heißen muss, die "Lehre von der Politik", durchaus eigene Merkmale auf. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu einer stärkeren Angleichung an die Entwicklung in den USA. Zu diesen lokalen deutschen Bedingungen gehörte, dass es bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein äußerst einflussreiches "älteres", maßgeblich an Aristoteles orientiertes Politikverständnis gab (vgl. Hennis 1977: 131-159). Die Lehre von der "Politik" wurde demzufolge der praktischen Philosophie zugerechnet und in einen Zusammenhang mit der Ethik (Moralphilosophie), der (Na- tional-)ökonomie bzw. Ökonomik, aber auch mit der Lehre vom öffentlichen Recht und der Geschichtswissenschaft gestellt. Anders als die political science in den USA war die deutsche Lehre von der Politik allerdings nicht in eine bereits ansehnlich funktionierende liberale Demokratie eingebettet, sondern in einen konservativen Restaurationsstaat bzw. in das Deutsche Kaiserreich. Das Scheitern der bürgerlich-liberalen Revolution von 1848/9 trug dazu bei, dass Politik immer mehr als "Staatskunst" im Sinne einer Technik der Machterlangung bzw. -ausübung, kurzum: "realistisch" aufgefasst wurde (vgl. Bleek 2001: Kap. 5). Die dadurch bedingte Ausdünnung des klassischen Politikverständnisses hatte wiederum zur Folge, dass Politik als Forschungsgegenstand zunehmend in benachbarten Fächern angesiedelt wurde: in der Nationalökonomie, der Geschichtswissenschaft sowie vor allem an den Lehrstühlen der damals noch gar nicht so alten Disziplin des öffentlichen Rechts. Mit der Reichsgründung 1871 hatte sich dort allerdings die Fixierung auf das positive Recht schließlich gegenüber den reformerischen liberalen Strömungen durchgesetzt und dem Rechtspositivismus in Deutschland den Weg geebnet.

Eine wichtige Weichenstellung war dabei das Werk von Georg Jellinek, der zwischen einer ausschließlich auf das Recht bezogenen theoretischen "Staatslehre" und einer diese anwendenden praktischen "Politik" unterschied. In geradezu gebündelter Form schlugen sich dann zentrale Entwicklungen des 19. Jahrhunderts bei Max Weber nieder, wenn er Politik einerseits als einen Kampf um Macht und als Fähigkeit, Gefolgsleute um sich zu sammeln, betrachtete und andererseits Wissenschaft von der Politik - im Sinne des Betreibens von Politik auf wissenschaftlicher Basis - für ein Ding der Unmöglichkeit hielt, weil dabei immer Werte und Weltanschauungen im Spiel seien, die eine Wissenschaft zwar zum Gegenstand haben, die sie sich aber nicht zu eigen machen könne (vgl. z. B. Maier 1985).

Es war diese Weber'sche Position mit ihrem "realistischen" Zugang zur Politik sowie dem sogenannten Postulat der Werturteilsfreiheit, die nach 1945 die deutschen Sozialwissenschaften im Allgemeinen und darunter in gewissem Maße eben auch die Politikwissenschaft im Besonderen beeinflussten. Von eher begrenztem Einfluss war demgegenüber der Ansatz Hermann Hellers, der die Staatslehre (wieder) als einen Teil der politischen Wissenschaft im Sinne einer alten Lehre von der Politik verstanden wissen wollte und deshalb die einseitigen rechtswissenschaftlichen Auffassungen seiner Fachkollegen - sei es die ausschließlich normorientierte "reine Rechtslehre", sei es den normfreien Dezisionismus - attackierte (vgl. Heller 1983).

Zu den direkten Folgen des Zweiten Weltkriegs gehörte es im Übrigen auch, dass die deutschsprachige Staatsrechtslehre, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie viele ihrer hervorragendsten Vertreter verloren (darunter neben den beiden schon angesprochenen, Hermann Heller und Hans Kelsen, etwa auch den später eher der Politikwissenschaft zugerechneten Carl J. Friedrich) - ein Verlust, von dem sich die deutsche Rechtswissenschaft bis heute nicht erholt hat und der auch auf die in Deutschland neu entstehende Politikwissenschaft gerade hinsichtlich des Umgangs mit den Beziehungen zwischen Politik und Recht spürbare Auswirkungen hatte.



2. Zum Verhältnis zwischen Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft


Neben diesen disziplinimmanenten historischen Entwicklungen war im Übrigen systematisch gesehen für die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Recht von Anfang an der Umstand von größter Bedeutung, dass sich eine andere, ebenso traditionsreiche wie etablierte akademische Disziplin - eben die Rechtswissenschaft - seit jeher ganz selbstverständlich nicht nur mit dem Recht als solchem, sondern auch mit Begriffen und phänomenalen Ausprägungen beschäftigt hat, die mit diesem untrennbar verknüpft sind, aus der Sicht der Politikwissenschaft jedoch zu deren ureigenem Kerngegenstand gehören: Souveränität, Staat, Gesetzgebung, Legitimität und Legitimation von Politik usw.2 Wie bereits angedeutet, entwickelte sich im Deutschland des Kaiserreiches eine folgenreiche und auch weitgehend anerkannte Art der Arbeitsteilung zwischen den beiden Fächern: Während die Analyse und Systematisierung, die Dogmatisierung und die Anwendung sowie gegebenenfalls die Weiterentwicklung, also kurz die Pflege und Hege des rechtlichen Normmaterials in den Zuständigkeitsbereich der Jurisprudenz fiel, kam der Lehre von der Politik die Untersuchung der sozialen, organisationellen und individuellen Bedingungen der rechtlichen Ordnung zu. Oder anders formuliert: Als Aufgabe der Politikwissenschaft wurde und wird es gesehen, sich mit dem "Staat in Aktion" zu befassen und dabei auch die Tätigkeiten zu beleuchten, die seinem rechtlich gewährten Ermessens- und Handlungsspielraum (also nicht dem rechtlich Gebotenen oder Verbotenen, sondern dem explizit oder implizit Erlaubten) zuzurechnen sind, sowie das tatsächliche Verhältnis von Regierung und Regierten zu untersuchen; der Rechtswissenschaft hingegen kommt es demnach zu, den "Staat im ruhenden Zustand" zu betrachten, ihn in seiner rechtlich-normativen Verfassung zu analysieren und sich mit staatlichem Handeln, wenn überhaupt, allenfalls insofern zu befassen, als dieses rechtlich geboten bzw. verboten ist.3

Allerdings ist, wie so oft, auch diese Arbeitsteilung nicht kostenlos zu haben: Allzu schnell geraten dabei der Politikwissenschaft die normlogischen Besonderheiten, sozusagen die Eigengesetzlichkeiten der Rechtsmaterie aus dem Blick, während die Rechtswissenschaft gelegentlich zu vergessen scheint, dass Recht und Rechtsstaat durchaus in der Welt stehen und z. B. divergierenden gesellschaftlichen Interessen ausgesetzt sind. Beträchtliche Irritationen resultieren häufig daraus, dass die eine Disziplin die andere lediglich einseitig, wenn nicht gar verzerrt wahrnimmt. Das lässt sich z. B. an den für beide Disziplinen zentralen Begriffen von Staat und Gesetzgebung ablesen. Die juristische Staatrechtslehre etwa konzediert, dass das Staatsrecht fundamentales Recht ist, welches die Grundsätze und die legitime Reichweite (staatlicher) Rechtserzeugung zum Gegenstand hat, während es zugleich das am stärksten "politikbezogene" Recht ist, so dass seine Grundbegriffe im Zentrum politisch-ideologischer Auseinandersetzung stehen. Die Aufgabenteilung zwischen Staatsrechts- und Politikwissenschaft wird folglich so gesehen, dass die Staatsrechtswissenschaft "eine juristische Wissenschaft [ist]. Ihre Aufgabe ist die Arbeit am Recht, d. h. die Erkenntnis, Interpretation, systematische Aufbereitung und Durchleuchtung des geltenden Staatsrechts [...] Dadurch unterscheidet sich die Staatsrechtswissenschaft von der Beschreibung, Analyse und Kritik des politischen Prozesses und dem Aufgreifen politischer Gestaltungsfragen: dies gehört zur Aufgabe der Politikwissenschaft" (Böckenförde 1992: 18).4

Seitens der Politikwissenschaft dagegen sind für den Umstand, dass der "Staat" als rechtliche Ordnung ganz überwiegend von der Rechtswissenschaft behandelt wird, wie eingangs erläutert, eher fachinterne Entwicklungen, nämlich die Abstinenz von normativen Fragen sowie das Aufkommen der politischen Systemtheorie verantwortlich zu machen; und auch bei der spezifisch politikwissenschaftlichen Betrachtung der Gesetzgebung lassen sich diese anführen. In der US-amerikanischen Politikwissenschaft z. B. wurden, wie erwähnt, bereits früh die Motive politiktreibender Akteure und Organisationen untersucht und in diesem Zusammenhang grundsätzliche Zweifel an der Demokratietauglichkeit des durchschnittlichen Bürgers bzw. Wählers formuliert. In Übereinstimmung mit damaligen ("massen"-)psychologischen Auffassungen wurde auch das Irrationale an der politischen Partizipation hervorgehoben. Zudem setzte sich die Auffassung durch, Politik sei letztlich eine Angelegenheit der Verfolgung von individuellen Akteursinteressen. Diese beiden Annahmen - von der Irrationalität und der Interessengebundenheit politischer Aktivitäten - bestimmten seitdem (in verschiedenen, im Einzelnen sehr unterschiedlichen Ansätzen) maßgeblich die realistische bzw. "ökonomische" Sicht von Politik und insbesondere von Demokratie. Aus dieser Perspektive kamen dann, neben dem in Deutschland ohnehin schon vorherrschenden "Politik-ist-Kampf-Realismus, zur einschlägigen Kennzeichnung des Gesetzgebungsprozesses Bezeichnungen wie "Kuhhandel" oder "Geschäftemacherei" auf. Damit soll nicht gesagt sein, dass realistische Modelle nicht wichtige Aspekte politischer Prozesse thematisieren oder dass ihre Vertreter die Vorstellung von einem "richtigen Recht" zwangsläufig und vollständig zurückweisen müssten. Aber es bleiben bei den angesprochenen Ansätzen doch die rechtlichen Normen selbst und vor allem ihre inhaltliche Begründung, die unerlässlicher Bestandteil legitimen Rechts ist, weitgehend unberücksichtigt. Diese wirkmächtige realistische Strömung mit ihrer spezifischen Betrachtung des Gesetzgebungsprozesses schien ihrerseits die in der Rechtswissenschaft ohnehin nicht selten gepflegten Vorstellungen von den Unberechenbarkeiten der Politik im Allgemeinen und den Unzulänglichkeiten des legislativen Prozesses im Besonderen nur zu untermauern.5

Die beiden Fächer unterscheidet schließlich6 auch eine beträchtliche und beinahe unumgängliche methodologische Kluft: Während in der Politikwissenschaft, wie bereits erwähnt, der deskriptiv-empirische Forschungszweig stark ausgebaut ist und qualitative, aber vor allem quantitative Methoden empirischer Sozialforschung wohl am meisten verbreitet sind, verfährt die Rechtswissenschaft - insbesondere in den hier interessierenden Subdisziplinen der Staatsrechtslehre sowie der Rechtsphilosophie und Rechtstheorie - einerseits axiomatisch-deduktiv, andererseits aber auch verstehend bzw. interpretativ, also in gewissem Sinne "hermeneutisch". Und während die Politikwissenschaft in der Bundesrepublik seit ihren frühen Jahren immer wieder in sozialwissenschaftliche Grundsatzdebatten und Schulenstreite verwickelt war, die sich deutlich in ihrem - mittlerweile und insgesamt wohl pluralistischen - Selbstverständnis niederschlugen, hielt sich die Rechtswissenschaft aus diesen Debatten weitgehend heraus. Die Tragweite dieser unterschiedlichen Rezeption theoretischer Kontroversen kann man kaum überschätzen. Um nur ein Beispiel anzuführen: In den Sozialwissenschaften generell, also auch in der Politikwissenschaft, zumindest sofern sie empirisch orientiert arbeitet, stellen der Kritische Rationalismus bzw. seine Weiterentwicklungen eine maßgebliche, wenn nicht die dominierende wissenschaftstheoretische Grundlage dar. Mit dieser geht das Postulat der "Einheit der Sozialwissenschaften" einher, das grundsätzlich auch die Rechtswissenschaft mit einbezieht. Ein gewisses Spannungsverhältnis ergibt sich nun daraus, dass Vertreter des Kritischen Rationalismus einerseits die Methode der juristischen Hermeneutik als unwissenschaftlich ansehen, weil sie keine falsifizierbaren Aussagen hervorbringt, dass auf der anderen Seite aber eingeräumt werden muss, dass eine rein empirisch ausgerichtete Wissenschaft an dem Phänomen Recht nur bestimmte Ausschnitte wahrnehmen kann - etwa technische und soziologische Fragen der Rechtserzeugung und Rechtsdurchsetzung sowie die Abschätzung von Rechtsfolgen -, dass ihr aber die spezifische Natur der Normativität von Recht, die mit der Frage nach der Möglichkeit der Rechtfertigung politischer Herrschaft untrennbar verbunden ist, verschlossen bleiben muss (vgl. jüngst Albert 2000; dagegen die Einschätzung bei Neumann 1994: 436 f.).



3. Recht als Gegenstand der Politikwissenschaft


Aus diesen wenigen, zugunsten der Kürze etwas holzschnittartigen Bemerkungen über einige Aspekte der internen Entwicklung der Politikwissenschaft und ihr Verhältnis zur Jurisprudenz kann und soll selbstverständlich nicht geschlossen werden, das Fach insgesamt verhielte sich dem Recht gegenüber völlig abstinent. Dass das nicht der Fall ist, bestätigt ein Blick auf die geläufigen politikwissenschaftlichen Teilbereiche und deren Umgang mit der Materie "Recht"; dabei zeigt sich, dass dem Recht durchaus Bedeutung beigemessen wird, wenn auch mit unterschiedlich großem Gewicht:

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Im Teilbereich "Politische Theorie und Ideengeschichte" wird das Recht wohl am kontinuierlichsten und stärksten thematisiert, zumindest wenn man die politische Philosophie als Teil der politischen Theorie versteht. Die gesamte neuzeitliche Vertragstheorie von Hobbes bis Kant sowie der Neo-Kontraktualismus der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist schließlich letztlich nichts anderes als eine Begründung der Errichtung und spezifischen Ausgestaltung staatlicher Ordnung mit den Mitteln des Rechts. Dasselbe gilt auch für zahlreiche Staatsvorstellungen außerhalb des Vertragsparadigmas, von Hegel bis Oakeshott.7 In diesem Zusammenhang ist allerdings auf Sonderentwicklungen in der bundesrepublikanischen Politik- und Rechtswissenschaft hinzuweisen. Der mainstream der Politikwissenschaft ging, wie oben skizziert, nach dem Zweiten Weltkrieg international und - mit einiger Verzögerung - auch in der Bundesrepublik eindeutig in Richtung einer empirischen Sozialwissenschaft. In den angelsächsischen Ländern und solchen, die deren Modellen folgten, etablierte sich daher eine Trennung zwischen der empirischen Disziplin der Political Science und der Subdisziplin der politischen Philosophie (im Englischen in der Regel als Political Theory bezeichnet). Politische Philosophie wird folglich dort, wo diese Trennung vollzogen wurde, selten als ein Teilbereich der Politikwissenschaft betrachtet, sondern dem Fach Philosophie, interessanterweise aber auch häufig der Rechtswissenschaft (gelegentlich auch beidem) zugerechnet. Letzeres hängt seinerseits damit zusammen, dass außerhalb Deutschlands die Rechtsphilosophie (einschließlich der gelegentlich davon unterschiedenen Rechtstheorie, die sich vor allem mit der "Logik" von Rechts- und von Normensystemen im Allgemeinen befasst; vgl. dazu prominent Alchourrön/Bulygin 1994) als genuiner und grundlegender Teilbereich der Rechtswissenschaft aufgefasst und ihr in Lehre und Forschung sowie organisatorisch an rechtswissenschaftlichen Fakultäten breiter Raum zugestanden wird. Politische Philosophie wird folglich im englischsprachigen, aber etwa auch im spanischsprachigen Raum weitgehend von Wissenschaftlern betrieben, die eine philosophische und/oder juristische, nicht aber eine politikwissenschaftliche Ausbildung durchlaufen haben. In Deutschland ist das Bild für beide beteiligten Wissenschaften ein ganz anderes. Gegen eine normativ und auf "politische Bildung" ausgerichtete Staats- und insbesondere "Demokratiewissenschaft" hatte die empirische Politikwissenschaft hier bekanntlich lange einen schweren Stand; und bei der Ausdifferenzierung der Politikwissenschaft als eigenständiges akademisches Fach wurde die normative Beschäftigung mit politischen Fragen nicht aus dem Fach herausdefiniert, sondern als Teilbereich neben die empirischen Subdisziplinen gestellt.8 Das war wiederum gerade wegen der Sonderentwicklung im anderen hier interessierenden Fach leicht möglich, denn in der Bundesrepublik wurde und wird die Rechtsphilosophie und -théorie im Rahmen der akademischen Rechtswissenschaft äußerst stiefmütterlich behandelt,9 so dass hier auch nicht, wie anderswo, eine fachliche Heimat oder aber Konkurrenz für die politische Philosophie zu finden ist. Wer in Deutschland akademische politische Philosophie betreibt, ist folglich in der Regel weder rechtsphilosophisch noch normentheoretisch ausgebildet - mit nicht unerheblichen Folgen für die internationale "Anschlussfähigkeit" der deutschen politischen Philosophie.10 In der politischen Theorie im engeren Sinn, sofern man sie von der politischen Philosophie durch den Verzicht auf Letztbegründungsargumente unterscheiden möchte, ist die Prominenz des Rechts weniger gegeben - unter anderem deshalb, weil politische Theorie häufig Anleihen bei der Systemtheorie macht oder als ökonomische Theorie der Politik die rechtlichen Bestandteile politischer Ordnung in erster Linie als äußere Restriktionen für Akteursentscheidungen begreift, die als solche nicht weiter thematisiert werden. Hervorzuheben im Kontext der politischen Theorie ist jedoch die sogenannte "Rechtspolitologie", die um die Mitte der achtziger Jahre von ihren Vertretern nicht ausdrücklich einem der etablierten Teilbereiche zugerechnet, sondern als eigene Teildisziplin propagiert wurde.11 Ausgehend von einem Verständnis der Politikwissenschaft als "Wissenschaft von der gesellschaftlichen Steuerung" stand und steht dabei die "Steuerungsdimension von Recht" (im Kontext von polity, politics und policy) im Mittelpunkt.

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Im Teilbereich "Regierungssystem und Innenpolitik der Bundesrepublik Deutschland" ist die Situation, grob gesagt, zweigeteilt. Zum einen: In vielen Einfuhrungsbzw. Übersichtsdarstellungen und Handwörterbüchern zum politischen System der Bundesrepublik, zum Bundestag oder zum Regieren in der Bundesrepublik tauchen Betrachtungen rechtlicher Aspekte nur am Rande auf. Obwohl Verfassungsrecht, einfaches Recht, Parlamentsrecht, Verordnungsrecht usw. konstitutiv für die parlamentarische Demokratie sind, lassen es viele Einführungen bei einer äußerst knappen Darstellung der "Prinzipien" der Rechts- und Verfassungsordnung bewenden.12 Ähnliches gilt für die Policy-Forschung. Natürlich lässt sich hier einwenden, dass ein Ansatz, der sich mit der "inhaltlichen" Dimension von Politik beschäftigt und grundsätzliche Rechts- und Institutionenfragen der "Polity-Forschung", also der politischen oder der Rechtstheorie überlässt, eben mit anderen Forschungsgegenständen befasst ist. Gleichwohl: Auch "Programme" zur gesellschaftlichen Steuerung müssen zwangsläufig letztlich die Rechtsform annehmen - was chaus nicht ohne Auswirkungen auf ihre Umsetzung und Effektivität bleibt. Das findet in der Policy-Forschung jedoch bislang keinen nennenswerten Niederschlag (vgl. Héritier 1993; Schmidt 1995). Andererseits ist Recht in einem weiten Sinne aber ausdrücklich Gegenstand einiger Strömungen der Innenpolitik-Forschung (gewesen). In diesem Zusammenhang sind insbesondere zu nennen: die "Rechtspolitik"13 - ein Politikfeld, das sich jedoch noch nicht etabliert zu haben scheint - sowie die neue Subdisziplin der "Gesetzesfolgenabschätzung".14 Für den Komplex der Verwaltung und die darauf bezogenen Wissenschaften gilt dagegen weitgehend das oben über das Verhältnis von Politik- und Rechtswissenschaft im Allgemeinen Gesagte: Während die juristische Diskussion ihren Schwerpunkt in der Betrachtung der rechtlichen Verfassung der Exekutivorgane und deren Handeln, also im Verwaltungsrecht hat, zeigt sich die politikwissenschaftliche V waltungslehre überwiegend sozialwissenschaftlich bestimmt (vgl. Bogumil/Jann 2005: Kap. 2).

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In der "Vergleichenden Politikwissenschaft" ist die randständige Rolle des Rechts zur Zeit vergleichsweise stark ausgeprägt. Das mag an dem verglichen mit anderen Teilbereichen relativ großen Einfluss des systemtheoretischen Ansatzes liegen. Ein Indiz dafür ist, dass die ältere "Regierungslehre" sich durchaus noch der rechtlichen Konstituiertheit ihres Gegenstandes bewusst war und folglich auch keinerlei Bedenken hatte, den "Primat des Rechts" anzuerkennen. In neueren Selbstdarstellungen der vergleichenden Politikwissenschaft ist dies dagegen grundlegend anders: Zwar wird eine Vielzahl von kollektiven Akteuren, Institutionen, Politikfeldern (und Methoden) als Gegenstände des Vergleichs ange führ die rechtliche Verfassung der jeweiligen politischen Systeme bleibt jedoch ausgeblendet.15

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Das politikwissenschaftliche Teilgebiet "Internationale Politik" befasste sich anfangs vorrangig mit internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen, aber auch mit internationalen "Regimen" bzw. dem Phänomen "Governance", dem sogenannten "Regieren ohne Regierung". Dem (internationalen) Recht, aber auch theoretischen Fragen der Beziehungen zwischen verschiedenen - vertikal oder horizontal verflochtenen - Rechtssystemen fiel dabei wenig Beachtung zu, zumal unter dem vormals dominanten realistischen, machtpolitischen Verständnis der ernationalen Beziehungen.16 Das hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren geändert. Auf dem Gebiet des Völkerrechts haben sich einschneidende Veränderungen ergeben, jüngst z. B. mit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Zwar wird trotzdem in absehbarer Zukunft von einer "weltbürgerlichen Verfassung", um einen Begriff Kants zu gebrauchen, keine Rede sein können; aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Recht in den internationalen Beziehungen zunehmend von Bedeutung ist. Noch deutlicher als im globalen wird dies im regionalen Kontext der Europäischen Union sichtbar. Zwar wird man auch hier - zumal nach den Referenden zur EU-Verfassung im vergangenen Jahr - vorerst nicht von rechtsstaatlichen Verhältnissen im engeren Sinn sprechen können; doch sind die Binnenverhältnisse der Union bereits seit geraumer Zeit und in erheblichem Umfang rechtlich geregelt. Und selbst für diejenigen, die in ihr bis auf weiteres oder prinzipiell nur eine Wirtschaftsgemeinschaft erblicken wollen, ist es unumgänglich, den unmittelbaren Zusammenhang von wirtschaftlicher (kapitalistischer) Entwicklung und verlässlichen, einklagbaren rechtlichen Verhältnissen genau wie auf der nationalen Ebene anzuerkennen. Darüber hinaus wird aber die Existenz bzw. die Rechtsprechung des EuGH zunehmend zum Zeichen der - mehr oder wenigergeschätzten - Verrechtlichungder Union, auch über rein wirtschaftliche Angelegenheiten hinaus.



4. Zum Begriff des Rechts


Was soll nun aber in einem Sammelband, der den aufgezeigten vielschichtigen Zusammenhang von Politik und Recht in den verschiedenen politikwissenschaftlichen Teilbereichen zu reflektieren versucht, überhaupt unter "Recht" verstanden werden?

Die Frage ist sehr viel schwieriger zu beantworten, als Laien meinen mögen; Rechtsphilosophen streiten sich bis heute um einen angemessenen, dem Alltagsverständnis hinreichend nahekommenden und doch für die systematische Analyse taugenden Rechtsbegriff. Um einen ersten Annäherungsversuch zu machen: Unter "Recht" lässt sich nach unserem - rechtsphilosophisch gestützten - Verständnis eine Menge von Normen verstehen, die aus einem Verfahren hervorgegangen sind, das (aus Gründen, die jeweils im einzelnen näher zu beleuchten wären) in einer Gesellschaft als autoritativ anerkannt wird, und die deswegen Anerkennung und Befolgung seitens ihrer Adressaten erwarten (wobei die Antwort auf die Frage, ob diese Erwartung notwendigerweise durch Sanktionsbewehrung gestützt sein muss, strittig ist). Zu dieser Menge von Normen gehören konstitutionelle Normen, die von einer verfassungsgebenden Körperschaft erlassen wurden, ebenso wie einfache gesetzliche Normeneiner legislativen Körperschaft oder Urteile eines Verfassungs- oder eines anderen Gerichts.

Eine anders gelagerte, politikwissenschaftlich ebenfalls höchst relevante grundlegende Unterscheidung, die in der Rechtstheorie weit verbreitet ist, ist die zwischen Prinzipien und Regeln. Rechtliche Normen, die verhaltensleitend wirken sollen, als Regeln anzusprechen, erscheint nicht nur lebensweltlich plausibel; das Regelmodell de chts ist auch eines der einflussreichsten Paradigmen der zeitgenössischen Rechtstheorie.17 Unter einer "Regel" wird dabei eine Norm verstanden, die mit dem Eintreten besimer Umstände (z. B. Diebstahl, soziale Bedürftigkeit, die Überschreitung eines Grenzwerts, ...) kategorisch bestimmte Rechtsfolgen verbindet (z. B. die Verhängung einer Haftstrafe, einen Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfe, ein Fahrverbot). Das herausragende Merkmal von Regeln ist ihr Alles-oder-Nichts-Charakter, wonach sie in einem konkreten Fall entweder anzuwenden sind und die vorgesehenen Rechtsfolgen nach sich ziehen oder eben nicht anzuwenden sind (die Feststellung, ob der Fall unter die Anwendungsbedingungen einer Regel fällt, ist dann die einzige, wenn auch keineswegs immer leicht zu erfüllende Aufgabe). Aber nicht alle Rechtsnormen sind Regeln in diesem Sinne, und die Gesamtheit rechtlicher Konflikte erschöpft sich nicht in Regelkonflikten - im Gegenteil: Ein gut gebautes Rechtssystem sollte überhaupt keine Regeln enthalten, die miteinander konfligieren (d. h. für dieselben Umstände miteinander unvereinbare, insofern "widersprüchliche" Rechtsfolgen vorschreiben); wo solche Konflikte auftreten, ist das ein Indikator für einen systemischen Defekt (etwa für das Fehlen von Vorrangregeln). Anders ist das bei sogenannten "Prinzipien". Zumindest nach Auffassung mancher Rechtstheoretiker schreiben Prinzipien (Grundsätze) nicht unverrückbar Rechtsfolgen für bestimmte Umstände vor, sondern drücken "Optimierungsgebote" (Alexy) aus. So verstanden können Prinzipien miteinander in Konflikt geraten, sie haben nicht unbedingt alle das gleiche Gewicht und lassen sich gegeneinander abwägen. Vielen rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen liegen Prinzipienkollisionen zugrunde, also das Aufeinanderstoßen von (im besten Falle sogar: allgemein anerkannten) Grundsätzen, die nicht alle zugleich voll und ganz umgesetzt werden können, so dass es unumgänglich wird, ihr relatives "Gewicht" zu bestimmen, um eine prinzipienbasierte politis che oder juridische Entscheidung - in die eine oder in die andere Richtung - fällen zu können.18 Die Vorstellung, dass Rechtssysteme nicht nur Regeln, sondern auch Prinzipien enthalten, hat weitreichende Folgen für die Auffassung der Wissenschaft vom Recht, denn während im Hinblick auf Regeln und ihre Anwendung vielleicht eine rein deskriptiv-empirische Herangehensweise noch möglich sein mag, sind im Umgang mit Prinzipien normative bzw. wertende Stellungnahmen unvermeidlich.

Eine weitere, nicht weniger wichtige Unterscheidung von Rechtsnormen ist die zwischen regulativen Normen (die bestimmten Normadressaten bestimmte Handlungen gebieten, verbieten oder erlauben) und Normen anderer Art, wie z. B. konstitutive Normen (die bestimmte Handlungen, nämlich sogenannte "institutionelle Handlungen", überhaupt erst konstituieren - etwa Normen, die die Institution der Ehe einführen, so dass die Handlung "heiraten" überhaupt erst aufgrund dieser Normen denkbar ist) oder Autorisierungs- bzw. Ermächtigungsnormen (die es der autorisierten Person überhaupt erst ermöglichen, bestimmte Handlungen gültig zu vollziehen - wie etwa die Ernennung einer Person zum Standesbeamten, wodurch sie erst in der Lage ist, eine Ehe rechtsgültig zu schließen); zu den wichtigsten Ermäch ngsnormen in einem Rechtssystem gehören zwangsläufig die Normen, die die Autorisierung zur Erzeugung, Veränderung und Derogation von Rechtsnormen und zur Anwendung (Durchsetzung) der regulativen Normen erteilen. Erst die Unterscheidung von re gulativen und autorisierenden Normen erlaubt eine Sichtweise von Rechtssystemen als dynamisch.19 Alle diese Überlegungen, Unterscheidungen und Definitionen sind innerhalb der Rechtstheorie bzw. -philosophie umstritten und werfen Fragen auf, denen wir an dieser Stelle nicht weiter nachgehen können. Es sollte jedoch offensichtlich sein, dass darunter auch politikwissenschaftlich (insbesondere politikphilosophisch) relevante Fragen sind, da etwa Macht- und Legitimitätsfragen in Bezug auf Akteure, die mit der Rechtssetzung und -anwendung betraut werden, sich für Regeln und Prinzipien auf unterschiedliche Weise stellen, und auch die Bestimmung und Rechtfertigung der "Anerkennungsreger eines Rechtssystems über die rechtstheoretische Logik hinaus genuin politikwissenschaftliche Fragestellungen tangiert. Letzlich sind Natur und Funktionsweise von Rechtssystemen mit denen von politischen Systemen so untrennbar verbunden, dass die wissenschaftliche Durchdringung der einen ohne Kenntnisse über die anderen notwendigerweise lückenhaft bleibt. Um die Lücke auf der Seite der deutschsprachigen Politikwissenschaft wenigstens etwas kleiner zu machen, haben wir die Herausgabe dieses Bandes unternommen.



5. Zu den Beiträgen dieses Bandes


Die hier versammelten Aufsätze beschäftigen sich mit verschiedenen Themenbereichen, die wir ganz bewusst jeweils nur grob abgesteckt, aber nicht verbindlich vorgegeben haben. Die Beiträge sind in vier Blöcke - "Grundlagen", "Verfassung und Staat", "Europäische Union und Internationale Beziehungen" sowie "Probleme der Verrechtlichung und Politikfelder" - zusammengefasst. Die Themenblöcke beinhalten im Einzelnen Folgendes:



Grundlagen


Im ersten Teil sind Beiträge versammelt, die sich mit essentiellen Fragen des Verhältnisses von Politik und Recht befassen. Erörtert werden in diesem Zusammenhang Probleme der Konzeption von Recht, Legitimität und staatlicher Ordnung überhaupt sowie gewisse als defizitär eingeschätzte Entwicklungen in der politischen Philosophie und Ideengeschichte.

Am Anfang dieses Teils steht ein Beitrag von Ronald Dworkin. Dabei handelt es sich um eine weitere Runde in der Auseinandersetzung zwischen dem wohl wichtigsten (zumindest: angelsächsischen) Rechtsphilosophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Herbert Hart, und seinem Nachfolger und Kritiker. Dworkin vertritte Auffassung, dass jede Konzeption des Rechts, auch die vermeintlich (wert-)neutrale bereits eine Interpretation geltenden Rechts und als solche unumgänglich mit der Inanspruchnahme moralischer Prinzipien verbunden ist. Der Text ist ein schönes Beispiel praktischen Philosophierens und auch ohne Vorkenntnisse über die sogenannte "Hart-Dworkin-Debatte" bzw. die zeitgenössische Rechtsphilosophie gut zugänglich.

Ingeborg Maus attestiert in ihrem Beitrag der deutschen Politikwissenschaft zunächst eine auffällige Abstinenz hinsichtlich der rechtlichen Beschaffenheit ihrer Forschungsobjekte. In zwei ausführlichen ideengeschichtlichen Exkursen zum Begriff der Rechtsstaatlichkeit bei Hobbes und zu dem der Volkssouveränität bei Locke und Rousseau wird dann dargelegt, dass bei einer kontraktualistischen Staatskonstruktion der Bezug auf "höheres" Recht (d. h. ein Naturrecht oder moralisches Recht), wie er in einflussreichen zeitgenössischen Interpretationen der großen Vertragstheoretiker immer wieder hergestellt wird, weder notwendig noch überzeugend ist.

Der Beitrag von Wolfgang Kersting bietet gewissermaßen eine Fortsetzung der kritischen (Neu-)Lektüre kontraktualistischer Positionen. Gegenstand seiner Ausführungen ist das Spätwerk von John Rawls. Auch dessen Vorstellung von einer "wohlgeordneten Gesellschaft" hängt letztlich, wenn auch nicht immer expressis verbis, von Politik und Recht ab. Kerstings fundamentale Kritik sieht Rawls' politischen Liberalismus nicht nur abseits aller traditionellen Wege, auf denen Ordnungsvorstellungen in der politischen Philosophie bisher begründet wurden, sondern auch in der Gefahr der "Illiberalität".

Arthur Benz untersucht in seinem Aufsatz die Verschränkung von Staat und Recht: In Abgrenzung von einschlägigen ideengeschichtlichen Modellen vertritt auch Benz die Auffassung, dass eine vorstaatliche Legitimation von Recht (durch göttliches Recht oder Naturrecht) genausowenig möglich ist wie dessen dauerhafte Gewährleistung ohne Staat. Der demokratische Verfassungsstaat beruht also paradoxerweise ausschließlich auf demjenigen Recht, das er "selbst produziert" hat.

Der Beitrag von Achim Wiesner, Steffen Schneider, Frank Nullmeier, Zuzana Krell- Laluhová und Achim Hurrelmann beschäftigt sich mit der prinzipiellen Frage nach der Anerkennungswürdigkeit westlicher Verfassungsstaaten. Grundsätzlich lassen sich, so die Autoren, die "Bewertungsmaßstäbe" politisch-rechtlicher Ordnung auf zwei Dimensionen abbilden: Auf der ersten wird danach unterschieden, ob Verfahren der Herrschaft oder aber ihre Ergebnisse (Inhalte) betrachtet werden sollen; mit der zweiten Dimension wird thematisiert, ob Verfahren bzw. Ergebnisse in Übereinstimmung entweder mit (natur- oder Vernunft-)rechtlichen Normen stehen oder als bloße Willensäußerung des Souveräns betrachtet werden müssen. Der empirische Teil des Aufsatzes untersucht, wie in öffentlichen Stellungnahmen zentraler politischer Akteure in ausgewählten Ländern von den zuvor unterschiedenen Bewertungsmaßstäben Gebrauch gemacht wird.

Gabriele Wildes Beitrag bietet eine Bestandsaufnahme der wichtigsten zeitgenössischen Theorien des demokratischen Verfassungsstaates. Trotz erheblicher Unterschiede im Detail ist diesen Ansätzen gemein, so Wilde, dass sie alle "blind" sind für die politische Relevanz der Geschlechterdifferenz. Wilde rekonstruiert die Kritik der "Geschlechterperspektive" am "geschlechtliche[n] Herrschaftssystem" und schließt sich der Forderung nach Herstellung einer tatsächlichen Gleichheit der Geschlechter durch ein "geschlechtsdifferentes" Recht an.

Wie die voranstehend angezeigten Beiträge bezeugen, ist die Auseinandersetzung um die Legitimation einer staatlichen, im Sinne einer "nationalen" Rechtsordnung ein beständiges Thema der politischen Theoriediskussion. Ganz anders verhält es sich dagegen mit dem Problem einer internationalen Rechtsordnung. Otfried Höffe geht in seinem Beitrag den rechtlichen Implikationen von Kants Schrift Zum ewigen Frieden nach und zugleich über sie hinaus. Er ruft die politisch-rechtlichen Aspekte der allmählich weltumspannenden "Kooperations"-, der "Schicksals"- und nicht zuletzt auch der "Gewaltgemeinschaft" der Menschheit in Erinnerung und plädiert für eine umfassende "Weltrechtsordnung", nicht aber für einen alles dominierenden und unkontrollierbaren Weltstaat.



Verfassung und Staat


Während im ersten Teil das Verhältnis von Politik, Staat und Recht erörtert und die Frage, ob sich Recht moralisch zu legitimieren hat, diskutiert wird, wenden sich die Beiträge im zweiten Teil der konkreten rechtlichen Ausgestaltung liberal-demokratischer Staaten zu. In letzter Zeit haben insbesondere die Grundrechte politikwissenschaftliches Interesse gefunden, wobei vor allem die Rolle des Bundesverfassungsgerichts in seiner Rolle als unabdingbarer Garant der Demokratie betrachtet wird. Diese Entwicklung schlägt sich auch hier nieder: Immerhin die Hälfte der Beiträge wendet sich exklusiv dem höchsten deutschen Gericht und seiner Stellung in der verfassungsrechtlichen Ordnung zu.

Zu den zentralen rechtsförmigen Forschungsobjekten, die die Politik- und die Rechtswissenschaft gemeinsam haben, jedoch mit unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden behandeln, gehört zweifelsohne die konstitutionelle Ordnung. Hans Vorländer kritisiert in seinem Beitrag die jeweils fachspezifisch verengten Sichtweisen: Die Verfassung werde entweder rechtwissenschaftlich als ein ausschließlich normatives Gebilde betrachtet oder aber politikwissenschaftlich als ein durch reale Machtverhältnisse bestimmter Bauplan für konkrete Regierungssysteme. Gegenüber diesen lediglich "halbierten Perspektiven" wird der Begriff der Verfassung als symbolische Ordnung geltend gemacht, wonach diese auch als Manifestation der ihr vorausliegenden Ordnungsvorstellungen zu begreifen ist.

Robert Alexys Abhandlung verfolgt das Anliegen, die Struktur der höchstrichterlichen Abwägung bei der Grundrechtsinterpretation offenzulegen. Aus der Sicht der Grundrechtsjudikatur handelt es sich bei Grundrechten um Prinzipien, deren "Optimierung relativ auf gegenläufige Prinzipien" in konkreten Entscheidungen angestrebt werden muss. Soll die Abwägung als rational bezeichnet werden können, so Alexy weiter, dann muss sie Argumentform besitzen und nachvollziehbar sein. Dies wird dadurch als möglich erachtet, dass eine "Gewichtsformel" erstellt wird, die den Vorrang des einen vor einem konkurrierenden anderen Prinzip darlegt, und diese Formel dann in einem Diskurs erörtert wird.

Der Beitrag von Sascha Kneip untersucht die Bedingungen, unter denen Verfassungsgerichte und ihre Rechtsprechung mit dem Grundsatz politischer Autonomie zu vereinbaren sind. In der einschlägigen politikwissenschaftlichen Literatur werden in dieser Frage prozeduralistische und substantialistische Positionen unterschieden. Aus beiden Positionen, so Kneip, ergeben sich aber entweder zu eng gezogene oder zu weitgesteckte Grenzen für das oberste Gericht. Ausgehend von dem Modell der "eingebetteten Demokratie", das als vermittelnde Position zwischen den beiden Positionen aufgefasst wird, sollen angemessene, nach Politikfeldern geordnete Grenzen für höchstrichterliche Eingriffe in den politischen Prozess gewonnen werden.

Gegenüber den Befürwortern einer Rückkehr zum "Gesetzgebungsstaat" zeigen Alexis von Komorowski und Michael Bechtel, dass eine stetige Zunahme von höchstrichterlichen Nichtigerklärungen parlamentarischer Gesetze empirisch nicht zu belegen ist und dass eine Abschwächung der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers zu einer Verstärkung der Mehrheitsdemokratie führt. Die vorgeschlagene Alternative hält einerseits vor allem an der weiten verfassungsgerichtlichen Garantie des demokratischen Prozesses fest, plädiert aber andererseits für Lockerungen in der Überprüfung solcher grundrechtlichen Bestimmungen mit rechts- und sozialstaatlichem Gehalt.

Fritz W. Scharpf untersucht die Rahmenbedingungen und die Dynamik der jüngsten Reformbemühungen der "Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung". Im Anschluss an den in der noch jungen Bundesrepublik vorherrschenden Trend zur "Unitarisierung" habe sich im Zusammenhang mit der ersten Großen Koalition ein zweiter Trend hin zur "Kooperation" zwischen Bund und Ländern herausgebildet. An den weitreichenden Folgen dieser "Politikverflechtung" setzen die politischen Reformbemühungen seit 2001 an. Aus der bisherigen Entwicklung des deutschen Föderalismus leitet Scharpf dann unter anderem die These ab, dass die Politik in der Bundesrepublik in außergewöhnlichem Maße von der "Antizipation verfassungsgerichtlicher Interventionen" geprägt sei.

Sowohl die Begründung als auch die Revision von Verfassungen ist in der Regel an institutionalisierte Beratungsverfahren gebunden, die aufgrund ihrer Zusammensetzung und ihrer Kompetenzen sehr unterschiedlich agieren. Helge-Lothar Batt untersucht drei solcher Beratungsgremien: die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat von 1990, die Föderalismus-Kommission von Bundestag und Bundesrat aus den Jahren 2003/4 sowie den Konvent zur Zukunft Europas. In einer Art vergleichender Untersuchung werden die Konstituierung und die Zusammensetzung der Organe, ihre internen Entscheidungsstrukturen sowie ihre Agenden analysiert. Das Konventsmodell, so lautet das Fazit, sei vor allem wegen seiner Zusammensetzung sowie seiner internen (deliberativen) Verfahren dem Kommissionsmodell deutlich vorzuziehen.



Europäische Union und Internationale Beziehungen


Die Staatengemeinschaft der Europäischen Union und die zwischenstaatlichen Beziehungen insgesamt unterliegen seit geraumer Zeit einem umfassenden Wandel und damit auch einem starken Trend zur Verrechtlichung. In diesem Zusammenhang sind in Europa vor allem Bemühungen um eine Verfassung der zwischenstaatlichen Beziehungen sowie um die Stärkung der Judikative zu beobachten. Aber auch in der internationalen Politik gewinnen Rechtsnormen und rechtsprechende Institutionen an Bedeutung. Vor allem den bis dato feststellbaren Ausprägungen und Auswirkungen dieser Entwicklung sind die Beiträge im dritten Teil gewidmet.

Die Tatsache, dass Politik und Regierung in den internationalen Beziehungen sich auf mehreren, untereinander verbundenen Ebenen abspielt, gehört mittlerweile zu den unumstrittenen Auffassungen. Welche Auswirkungen diese Gemengelage konkret hat, ist dagegen oft weniger klar. Hartmut Aden greift in seinem Beitrag die These auf, wonach die nationale Souveränität im Zeitalter der Mehrebenenpolitik zwangsläufig relativiert wird. Aden zeigt, dass rein quantitative Indikatoren wie etwa der Gesamtanteil der nationalen Gesetzgebung, der durch EU-Recht veranlasst wurde, nur grobe Anhaltspunkte für die Einengung nationaler Gesetzgeber darstellen, weil diese weiterhin große Spielräume beibehalten. Allerdings zeige das Beispiel der EU, dass sich das Recht (im Rahmen der EuGH-Rechtsprechung) gegenüber seinen Autoren auch "verselbständigen" kann.

Oberste Gerichte in nationalen Verfassungen besitzen eine Reihe unterschiedlicher Aufgaben, zu deren wichtigsten der Schutz der Grundrechte der Bürger gehört. Tanja Hitzel-Cassanges unternimmt es, den Europäischen Gerichtshof als Garanten demokratischer Grundrechte darzustellen. Im komplexen Prozess der erst noch zu bewerkstelligenden Demokratisierung der europäischen Politik müsste der EuGH die Rolle einer "Bürgergerichtsbarkeit" übernehmen, indem er sich selbst als Forum für prinzipiengeleitete Diskussion versteht und durch seine Rechtsprechung zugleich zur Stärkung der öffentlichen politischen Diskussion beiträgt.

Die von Roland Lhotta und Jörn Ketelhut vorgelegte Abhandlung sieht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dagegen in einem weniger positiven Licht. Die Autoren gehen in einem ersten Schritt davon aus, dass die richterliche Argumentation immer in einen Kontext der Leit- und Ordnungsideen eingebunden ist. Über einen längeren Zeitraum hinweg würden die Urteile des Gerichts allerdings zur Verstetigung ganz bestimmter konkreter Leitideen und zur Marginalisierung der übrigen beitragen. Anhand einschlägiger Urteile des EuGH zur Gleichstellungspolitik wird in einem zweiten Schritt untersucht, wie die Vorherrschaft einzelner Leitideen den Entscheidungshorizont der Richter nicht nur bestimmen, sondern auch einengen kann.

Kai Ambos gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die in kürzester Zeit sehr unübersichtlich, weil äußerst komplex gewordenen juristischen Reaktionen auf den 11. September 2001. Erörtert werden zunächst die Schwierigkeiten einer verallgemeinerbaren Definition von "Terrorismus"; sodann erfolgt eine systematische Darstellung der Anti-Terror-Maßnahmen auf der globalen, der europäischen und der nationalen, d. h. deutschen Ebene. Abschließend werden erste Erfolge, aber auch Gefahren der getroffenen Maßnahmen erwogen.

Die Schaffung einer die staatliche Souveränität beschränkenden internationalen gerichtlichen Institution lässt sich weder aus der Sicht des politischen Realismus noch aus funktionalistischer Perspektive hinreichend erklären. Die Analyse der Verhandlungen, die im "Statut von Rom" ihren Abschluss fanden, zeigt vielmehr, so Nicole Deitelhoff, dass in den internationalen Beziehungen nicht nur Macht und Interesse vorherrschen, sondern auch "Diskurs und Überzeugung". Entscheidende Veränderungen in den Mehrheitsverhältnissen zwischen Befürwortern und Gegnern des Internationalen Strafgerichtshofes bzw. zwischen denjenigen Staaten, die eine breite oder nur eine begrenzte Zuständigkeit dieses Gerichtshofes wünschten, lassen sich als ein maßgeblich diskursiv herbeigeführter Wandel bei ursprünglich "realistischen" Positionen vieler Staaten rekonstruieren.

Das Agieren staatlicher Akteure in der internationalen Politik kann zugleich verfassungsrechtlich und völkerrechtlich bestimmt bzw. begrenzt sein. Dirk Nabers untersucht die Signifikanz dieser doppelten rechtlichen Rahmung anhand des Politikfeldes "Sicherheitspolitik" in Deutschland und Japan. Was Japan anbelangt, so enthält dessen Verfassung auf der einen Seite sehr restriktive Bestimmungen, die ihm u. a. die Mitgliedschaft in kollektiven Sicherheitssystemen sowie die Unterhaltung militärischer Truppen untersagen. Auf der anderen Seite haben seine Regierungen jedoch schon bald nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Landesverteidigung und auch die aktive Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen organisiert. Für die Bundesrepublik begann die verstärkte Einbindung seines Militärs in internationale Einsätze dagegen erst in den neunziger Jahren. Zwar werden diesbezügliche Entscheidungen durch die Bundesregierung gefällt, aber der Bundestag verfugt dabei über ein Mitwirkungsrecht und das Bundesverfassungsgericht überprüft letztlich die Vereinbarkeit der getroffenen Maßnahmen mit dem Grundgesetz. Während sich in Japan, so Nabers Fazit, ein "Primat der Politik" über das (Verfassungs-) Recht feststellen lasse, würden in der Bundesrepublik umgekehrt sicherheitspolitische Entscheidungen an die Verfassungsrechtsprechung verwiesen.



Probleme der Verrechtlichung und Politikfelder


Am Phänomen der "Verrechtlichung" moderner Gesellschaften scheiden sich nach wie vor die Geister. In dieser Kontroverse steht Nicolai Dose auf der Seite der Verteidiger des Mediums Recht. In seinem Beitrag versucht er den Nachweis zu erbringen, dass der Erfolg der rechtlichen Steuerung zum einen von der Struktur der Rechtsnormen abhängt, zum anderen aber auch vom Differenzierungsgrad der Institutionen, die mit ihrer Umsetzung betraut sind. Er kann u. a. zeigen, dass die zuständigen Behörden die relevanten Rechtsnormen überwiegend für nicht (zu) kompliziert halten und dass kaum von einer Normenflut oder einer bemerkenswerten Verunsicherung durch häufige Normänderungen gesprochen werden kann. Zusätzlich lässt sich, so Dose, der Erfolg rechtlicher Steuerung im Immissionsschutz auch mit geeigneten Implementationsstrukturen des Verwaltungsapparates herbeifuhren.

Eine demgegenüber pessimistischere Position vertritt Manfred Mai. Seiner Meinung nach lässt sich das Politikversagen zumindest in bestimmten Politikbereichen auf Rechtsversagen zurückführen. Dies zeige sich insbesondere auf den Gebieten der Technik und der Medien. Auf dem Gebiet der Technik kann der um seine Souveränität kämpfende Staat unter Zuhilfenahme der unbestimmten Rechtsbegriffe zwar auf die Verbände als Implementationspartner zurückgreifen. Eine solche korporatistische Lösung ist auf dem Gebiet der Medien wegen des dortigen geringen Organisationsgrades jedoch nicht möglich. Wenn dort zudem die "Selbstkontrolle" der Akteure nicht verlässlich praktiziert wird, dann werden Bemühungen um rechtliche Steuerung "zur Farce".

Einen Überblick über die aktuellen Anstrengungen zur Optimierung des Gesetzgebungsprozesses gibt Götz Konzendorf. Der dem Leitbild des "schlanken Staates" verpflichteten "Gesetzesfolgenabschätzung" geht es gleichermaßen um vorausschauende und begleitende Analysen der Gesetzgebung wie um rückblickende oder "ex-post-Evaluierungen". Mit ihrer begleitenden Analyse will die Gesetzesfolgenabschätzung konkret in den laufenden politischen Prozess eingreifen und somit Politikberatung betreiben. Allgemein zielt sie vor allem auf eine Verringerung der gesetzlichen Regelungsdichte ab.

Der Beitrag von Uwe Wagschal untersucht das Vetospieler-Potential von Verfassungsgerichten auf dem Gebiet der Steuerpolitik. Inwiefern Verfassungsgerichte tatsächlich als Vetospieler auftreten, wird sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht erwogen. Zum einen werden Verfassungsgerichte und ihre die Steuerpolitik betreffenden Entscheidungen in sechs ausgewählten Ländern sowie in der EU untersucht. Dabei zeigt sich, dass das Blockadepotential der Gerichte in den verschiedenen politischen Systemen als grundsätzlich gegeben, aber als unterschiedlich stark ausgeprägt zu betrachten ist. Zum anderen bestätigt auch die quantitative Untersuchung die Vermutung des Vetospieler-Potentials von Verfassungsgerichten.

Barbara Waldkirch begreift den Gentechnikkonflikt als Grundrechtskonflikt, in dem Berufs- und Forschungsfreiheit gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit abgewogen werden müssten. Davon ausgehend untersucht sie, wie äußere Bedingungen Einfluss auf die rechtliche Steuerung der Gentechnik - bzw. die Versuche dazu - nehmen. Berücksichtigt werden in diesem Zusammenhang vor allem die Auswirkungen von EU-Recht auf nationales Recht sowie die parteipolitischen Prämissen dieser nationalen Gesetzgebung.

Die Ressource Recht ist immer wieder auch im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischer Planung zum Einsatz gelangt. Die Historikerin Ute Schneider rekonstruiert im letzten Beitrag dieses Bandes einen solchen Versuch der Sozialtechnik in der DDR. Das sozialistische Recht hatte dort allgemein die Funktion, die Entwicklung des gesellschaftlichen Leitbildes weg vom bürgerlichen Individualismus und hin zum sozialistischen Kollektiv zu unterstützen. Darüber hinaus und zugleich galt es aber bis zum Mauerbau auch, den durch Abwanderung bedingten Arbeitskräftemangel aufzufangen. Schneider untersucht die Ursprünge des Familienrechts und des Güterrechts im früheren Deutschland und verfolgt dessen Weiterentwicklung und Implementierung in der DDR.


Den Herausgebern bleibt zum Schluss nur noch, den Autorinnen und Autoren zu danken für ihre Kooperation und sehr weitgehende Bereitschaft, unsere Wünsche, Änderungsvorschläge und vielfältigen Rückfragen als konstruktiv aufzufassen. Vor allem denen, die sich an die vorgegebenen Abgabefristen vorbildlich gehalten haben, wurde zudem eine überproportional große Portion Geduld abverlangt. Fast alle haben das klaglos ertragen, wofür wir ihnen große Anerkennung zollen. Daran, dass der Band jetzt erscheinen konnte, hatten zwei Personen entscheidenden Anteil, denen wir an dieser Stelle unseren besonderen Dank aussprechen möchten: Leonore Marx hat mit enormem Einsatz und noch größerem Scharf- und Überblick die Redaktion des Bandes über einen langen Zeitraum wesentlich vorangebracht; ihre Unterstützung war für uns unverzichtbar, um den großen Berg von eingehenden Manuskripten bewältigen und zu einem Band formen zu können. Und Anne Fuchs, die routinierte Setzerin der PVS, hat auch den Satz dieses Bandes erledigt, wie man es von ihr gewöhnt ist: äußerst kompetent, blitzschnell, aber doch flexibel und ohne sich durch gelegentliche Unbilden aus der Ruhe bringen zu lassen. Soweit der Band formal gut gelungen ist, ist das weitgehend ein Verdienst dieser beiden Mitarbeiterinnen. Die Verantwortung für den Inhalt teilen wir mit den Autoren.



Literatur


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1

Vgl. z. B. Almond/Powell (1966). Die politische Systemtheorie ist selbstverständlich nicht die letzte politikwissenschaftliche Entwicklungsstation gewesen, neue Ansätze sind hinzugekommen, so dass mittlerweile die Auffassung von der Politikwissenschaft als einem pluralistischen Unternehmen zumindest mehrheitlich Zustimmung finden dürfte. Zur neueren Entwicklung vorwiegend der US-amerikanischen Politikwissenschaft vgl. Dryzek/Leonard (1995).

2

Zur Frage der Gemeinsamkeiten von Rechts- und Politikwissenschaft s. in jüngerer Zeit etwa die Einleitung von Christoph Engel "Linking Political Science and Law" sowie den Beitrag von Thomas Heller "Lawyers and Political Scientists: How much Common Ground?" in Engel/Héritier (2003).

3

Vgl. dazu, unter Bezugnahme auf die Position Jellineks, Benz (2001: 63-70). Christoph Gusy erkennt sogar eine spezifische "Entgegensetzung von Recht und Politik": "Das Politische hat seinem Wesen nach "irgendwie entscheidend mit dem Dynamisch-Irrationalen" zu tun [...] Demgegenüber ist das Recht etwas Statisch-Rationales" (Gusy 1985: 42).

4

Politik wird dabei im Sinne des "Begriffs des Politischen" von C. Schmitt verstanden, der aber gewiss nicht im Zentrum politikwissenschaftlicher Betrachtungen steht. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den beiden Staatswissenshaften heißt es dort weiter: "Für die Staatsrechtswissenschaft sind diese Erkenntnisse der Politikwissenschaft zwar von Bedeutung, als Vorfrage [!] eigener Urteilsbildung, aber sie sind nicht ihr eigentlicher Gegenstand" (ebd.). Vor diesem Hintergrund überrascht dann auch nicht, dass z. B. im Register zu den ersten beiden Bänden des "Handbuch des deutschen Staatsrechts" kein Eintrag zum Stichwort "Politik" zu finden ist.

5

So heißt es etwa bei Engisch (1997 [1956]: 113): "Der dem Gesetz einverleibte Sinn kann auch reicher sein als alles das, was sich die Gesetzesverfasser bei ihrer Arbeit gedacht haben - wenn sie sich überhaupt etwas gedacht haben, was man für die über ein Gesetz abstimmenden Parlamentarier nicht immer behaupten kann." Zur Kritik der wenig respektvollen, aber auch nicht immer sehr realistischen Einschätzungen des legislativen Prozesses in Jurisprudenz und Politikwissenschaft s. Waldron (1999).

6

Es gibt selbstverständlich noch weitere Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen, z. B. den, dass sich auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft entschieden mehr praktizierende Juristen finden als es Politiker gibt, die Politikwissenschaftler sind, mit der Folge, dass die Rechtswissenschaft viel stärker in der Praxis - auch und besonders in der politischen Praxis - verwurzelt ist als die Politikwissenschaft. 1978 hieß es noch angesichts der Tatsache, dass in den siebziger Jahren in der Enquete-Kommission zur Verfassungsreform fast ausschließlich Staatsrechtslehrer, aber keine Politikwissenschaftler vertreten waren: "Ehe sich die Politikwissenschaft darüber beklagt, sollte sie die Tatsache zum Anlass einer Selbstprüfung nehmen. Offenbar haben ja die Fraktionen des Bundestages, die die Sachverständigen benannten, das Stichwort Verfassungspolitik nicht mit der Politikwissenschaft in Verbindung gebracht" (Grimm 1978: 288). Nicht zu Unrecht wurde deshalb von politikwissenschaftlicher Seite ein "Juristenmonopol" in der politischen Praxis der Bundesrepublik beklagt; s. z. B. Seibel (1990).

7

Natürlich gab und gibt es auch zahlreiche Gegenreaktionen auf die Vorherrschaft des "bürgerlichen" oder "spätkapitalistischen" Rechts bzw. auf die individualistischen, liberalen Rechte der konstitutionellen Demokratie. Für eine neuere Kritik aus dem Lager der Kommunitaristen siehe z. B. Glendon (1991). Einen frühen ideengeschichtlichen Überblick bietet Neumann (1980).

8

Eine weitere deutsche Besonderheit, auf die wir hier nicht weiter eingehen, ist es, dass die Politische Philosophie oft mit der historischen Beschäftigung mit "politischen Ideen" quasi gleichgesetzt wird.

9

Im Studium der Rechtswissenschaft tauchen sie allenfalls als Wahlfach auf, und es gibt in Deutschland auch kaum eigenständige Professuren für diese Teilbereiche: Staats-, Verfassungsoder Öffentlichrechtler müssen Rechtsphilosophie und Rechtstheorie meistens "nebenbei" vertreten.

10

Der derzeit zweifellos international renommierteste deutsche politische Philosoph, Jürgen Habermas, dagegen ist eben auch rechtsphilosophisch bewandert und hat deswegen keine Schwierigkeiten, mit angelsächsischen politischen Philosophen wie Dworkin zu diskutieren. Eine zweite Ausnahme ist der Bonner Politikwissenschaftler und "gelernte" Rechtsphilosoph Ernesto Garzón Valdés, der in den vergangenen etwa 25 Jahren zahlreiche rechtstheoretisch informierte Analysen zu grundlegenden politikwissenschaftlichen Fragestellungen - politische Stabilität, Legitimität, Öffentlichkeit, Repräsentation, Paternalismus, Interventionismus, Toleranz, (Staats-)Terrorismus, Korruption... - vorgelegt hat (vgl. statt vieler nur Garzón Valdés 1988, 2005); sein Werk findet jedoch unter politischen Philosophen im europäischen und außereuropäischen Ausland, die eben selbst auch juristisch ausgebildet sind, seit jeher sehr viel mehr Resonanz als hierzulande. - Es fehlt im Übrigen aufgrund der geschilderten Konstellation in Deutschland in der politischen Philosophie, aber auch in der Politikwissenschaft insgesamt nicht nur an rechtsspezifischer Expertise, sondern - was noch bedenklicher ist - allgemeiner an systematischen Kenntnissen über die Eigenschaften von Normensystemen, da diese üblicherweise in rechtstheoretischen Zusammenhängen vermittelt werden. Wenn deutsche Politikwissenschaftler sich über Normen äußern, ist das Ergebnis daher oft nicht auf dem Stand der internationalen Diskussion. Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass z. B. ein international so renommierter politischer und Rechtsphilosoph wie Joseph Raz in der deutschen politischen Philosophie und Theorie bisher kaum rezipiert wurde, was sich u. a. daran zeigt, dass von seinem Werk - ein halbes Dutzend Bücher überwiegend zu Fragen der Normen- und Handlungstheorie, aber auch konkret zur politischen Philosophie, die alle international rezipiert und in andere Sprachen übersetzt wurden - kein einziges in deutscher Sprache vorliegt (der "Klassiker" Practical Reason and Norms ist allerdings zur Zeit der Drucklegung dieser Einleitung als erste deutsche Übersetzung eines Buches dieses Autors - auf Initiative eines US-amerikanischen Rechtsphilosophen und finanziert von einer US-amerikanischen Universität, also quasi durch einen Akt der "Entwicklungshilfe" - unter dem Titel Praktische Gründe und Normen im Erscheinen).

11

Ganz selbstbewusst hieß es in diesem Zusammenhang, "daß Recht für eine Wissenschaft, etwa die Rechtswissenschaft, zu viel ist, und es sieht so aus, als ob diese Forschungsgemeinschaft [der Bindestrichwissenschaften; die Verf.] ein Mitglied mehr bekommen hat, eben die Rechtspolitologie" (Görlitz/Voigt 1985: 22). Die Beiträge der (Sub-) Disziplin erscheinen gegenwärtigin der Zeitschrift Rechtspolitologie.

12

Da die Häufigkeit einer ausführlicheren Behandlung rechtlicher Fragen mit dem quantitativen Umfang der Einfuhrungen zu korrelieren scheint, lässt sich unterstellen, dass das Thema eher nicht zu den wichtigsten Aspekten für die Analyse eines politischen Systems gerechnet wird. Siehe dagegen z. B. Hesse/Ellwein (1992: Kap. VI. 1) und Glaeßner (1999: Kap. 3).

13

"Von Rechtspolitik sprechen wir [...], wenn mit rechtlichen Normen [...] ein gewünschtes Verhalten von Individuen, Gruppen und Organisationen angestrebt wird" (Landfried 1987: 286). Die Rechtspolitik ließe sich somit als Bestandteil der Policy-Forschung betrachten. Aus der Sicht der Rechtspolitologie ist es Aufgabe der Rechtspolitik, "mit Hilfe rechtlicher Regelungen - pathetisch ausgedrückt - der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen" (Voigt 1989: 13).

14

Die in den siebziger und achtziger Jahren aufgekommene Gesetzgebungslehre ist dagegen weitgehend von Juristen beherrscht und hat in der Politikwissenschaft wenig Beachtung gefunden (vgl. z. B. Noll 1973; Schneider 1982; Jutzi 1998).

15

Ein Beispiel für den traditionellen Ansatz ist Brunner (1979: 170 ff.); vgl. dagegen Berg- Schlosser/Müller-Rommel (2003). Als partielle Ausnahme von der Regel vgl. Lauth (2006).

16

S. dagegen Kratochwil (1989). Im Grunde bestätigt auch diese Ausnahme die Regel, denn der Band ist nicht von ungefähr in englischer Sprache erschienen: Der Autor hat den größten Teil seiner akademischen Laufbahn in den USA verbracht und die Untersuchung auch dort verfasst. In den Jahrerr vor Erscheinen des Buches hat er Teilaspekte der Untersuchung in etwa einem Dutzend Aufsätzen publiziert, die in renommierten Fachzeitschriften erschienen sind - in Deutschland aber bezeichnenderweise nicht in einer der einschlägigen politikwissenschaftlichen Zeitschriften, sondern lediglich 1987 im Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP). Kratochwils rechtstheoretisch fundierte Überlegungen scheinen bis heute in der deutschen Politikwissenschaft kaum rezipiert zu sein.

17

Das Regelmodell des Rechts wurde prominent von Hart (1994) vertreten und hat weit über die Grenzen der Jurisprudenz hinaus explizite oder implizite Anerkennung gefunden. Für die ökonomische Theorie der Politik s. etwa Brennan/Buchanan (1985).

18

Diese Position wird von Harts Antipoden Ronald Dworkin vertreten (vgl. z. B. Dworkin 1977).

19

Auch hierfür ist die klassische Quelle Harts "The Concept of Law" (Hart 1994), wo neben regulativen primary rules die überragende Bedeutung einer Gruppe von secondary rules, bestehend aus einer rule of recognition sowie aus rules of change und rules of adjudication, erstmals systematisch herausgearbeitet wurde.