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Vorwort

Der Botanische Garten der Universität Bern ist ein herrlicher Ort der Ruhe, der Schönheit, der Kontemplation. Wenn man von der Stadt her von der mit reichlich Verkehr gesegneten Lorrainebrücke in den Garten abtaucht, fühlt man diese Ruhe ganz besonders intensiv. Plötzlich wird es still, man tritt in eine Oase der Stille ein. Zusätzlich ist diese Oase aber mit einem ungeheuren biologischen Reichtum ausgestattet: Am Sonnenhang zur Aare ergibt sich eine große Vielfalt an unterschiedlichen Standorten - Neigung, Hangrichtung, Bodenfeuchte, Beschattung -, die noch erweitert wird durch Gewächshäuser und künstliche Anlagen. Diese Standortvielfalt entspricht einem noch größeren Reichtum an Pflanzenarten aus allen Erdteilen. Es sind um die 6000, so viele, dass sie für Besucher kaum fassbar sind. Die verschiedenen Gruppen - Alpinum, Heilpflanzen, Teich, Hangwiese, dann Palmenhaus, Farnhaus, Sukkulentenhaus, Steppenhaus, Orchideenhaus usw., immer mit passendem Klima und Boden - ermöglichen eine Übersicht.

Die Artikel, die im "Bund" zwischen 1989 und 2002 vom Verein Aquilegia publiziert wurden, mit den vielen angesprochenen Themen und den passenden Illustrationen, zu Geschichte und zur Herkunft der Pflanzen und zu ihrer Wirkung auf Mensch und Tier sprechen viele verschiedene Personen mit unterschiedlichen Interessen, aber auch in verschiedenen Richtungen an. Sie wecken - und befriedigen - die Neugier der Leute auf alle möglichen Gesichtspunkte in der Natur. Die gleichen Aquilegia-Mitglieder beteiligten sich auch immer wieder aktiv am Gedeihen des Gartens, etwa mit Führungen für die verschiedensten Personengruppen. - Hier liegt ja die heute wohl wichtigste Bedeutung botanischer Gärten wie auch der Museen und Zoos: Interesse an der Natur wecken, Leute zum sich Verwundern, zum Staunen bringen über die vielen Erscheinungen in der Natur, vielleicht gar bei den Jungen Lust am mehr Wissen und damit auch am Forschen wecken. Diese Lust kann in viele Richtungen gelenkt werden: in der Biologie z.B. in Richtung Formenvielfalt (Systematik), Verständnis der Funktionen (Physiologie), der Zusammenhänge (Ökologie), der Anpassungen an die Umwelt (Evolution) und vieles anderes, in den Erdwissenschaften z.B. im Zusammenhang mit Klima, auch mit "Climate Change", mit Gesteinen und besonders mit Boden, in der Physik in Bezug auf die Wirkung äußerer Einflüsse auf die Morphologie der Pflanzen für die Regelung des Wasser- und Wärmehaushaltes, in der Chemie der Einfluss der Böden auf die Pflanzen, aber auch auf alle Vorgänge im Innern der Pflanzen. Sogar Pädagogik und Psychologie spielen eine Rolle, wenn es darum geht, das Interesse an andere Menschen weiterzugeben, sie ebenfalls zu begeistern für all die erstaunlichen Leistungen von den Genen in den einzelnen Zellen und allen Vorgängen dort über die einzelnen Pflanzen zu den ganzen Ökosystemen. Schließlich kann auch die Bedeutung der Pflanzen als Grundlage allen Lebens - zur Ernährung aller Lebewesen, zur Atmung usw. - hier sehr gut veranschaulicht werden.

Etwa ab dem 16. Jahrhundert handelte es sich bei Museen, botanischen und zoologischen Gärten um "Raritätenkabinette", wo die Herrschenden auffallende Besonderheiten aus ihren Ländern in aller Welt sammelten. Dann wurden die Besitzer "gwunderig" und beauftragten Forscher, die Spezialitäten zu beschreiben, zu klassieren, Verwandtschaften und später auch Funktionen zu untersuchen. Die Forschung gründete weitgehend auf diesen Sammlungen. Erst sehr viel später, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wurden die Forscher von den Sammlungen weitgehend unabhängig und machten ihre Untersuchungen entweder im Labor unter genau kontrollierten Bedingungen oder aber in der freien Natur unter den natürlichen Bedingungen - die botanischen Gärten schienen nahezu überflüssig zu werden. Sehr bald gab man ihnen aber eine ganz wichtige, neue Aufgabe: Sie helfen uns heute, auch in der Großstadt noch direkte Beziehungen zur Natur aufrechtzuerhalten, nicht nur virtuell im Fernsehen und am Computer, uns daran zu erfreuen und auch wahrzunehmen, welcher Reichtum, welche Schönheit um uns herum existiert, oft ohne dass wir uns dessen gewahr werden. Hier sieht man aber auch, was wir in der Natur mit unseren Eingriffen alles bewirken können, gezielt oder als Nebenwirkung. Für die heutigen Menschen, die glauben, sie könnten sich von der Natur ganz emanzipieren, ist es sehr wichtig, wenn sie immer wieder darauf hingewiesen werden, dass die Menschheit als Ganzes eben doch ganz und gar von der Natur abhängig bleibt. Oder können Sie sich auf Dauer ein Leben vorstellen, das auf aufwändigen chemischen Prozessen beruht, beispielsweise zum Entfernen des Atmungs-CO2 aus der Atmosphäre, einem Vorgang, den die Pflanzen so nebenher, bei der Photosynthese durchführen, oder zum vollständigen Aufbau unserer Nahrung in der Retorte, oder zur Beseitigung all unserer Abfälle ohne bakterielle Unterstützung? Für ein von uns geschaffenes Raumschiff mag das für einige Zeit funktionieren, aber für das ganze Raumschiff Erde?

Eine wichtige Aufgabe haben die botanischen Gärten für den Naturschutz, zur Erhaltung bedrohter Arten. Diese können hier kultiviert werden, um die Bedingungen zu finden, die erfüllt sein müssen, wenn sie gedeihen sollen. Sie können hier vermehrt werden, um sie später wieder an geeignete Stellen in die Natur zurückzubringen, beispielsweise dorthin, wo sie vor einem für sie schädlichen Eingriff existiert haben, und sie auch dort mit dem bei der Kultur erlernten gärtnerischen Wissen weiter zu pflegen und zu erhalten. Das betrifft vor allem Arten aus der weiteren Umgebung, seltener auch solche aus anderen Klimaregionen.

Die botanischen und die zoologischen Gärten ebenso wie die Museen haben also heute ihre Aufgaben in der Forschung immer noch wahrzunehmen, wenn es darum geht, breite Vergleiche vorzunehmen, Material für gezielte Versuche bereitzustellen. Daneben aber sind sie ganz besonders wichtig für die Popularisierung des Wissens, für den Unterricht auf allen Stufen, vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung, um uns auch heute den Zugang zur Natur zu sichern und damit auch zu deren Erhaltung einen wichtigen Beitrag zu leisten. Die Gewächshäuser sind ein wichtiges Glied im Unterricht, gestatten sie doch einen Betrieb auch im Winter.

Wir sind dem Verein Aquilegia, einer Vereinigung von ehemaligen und aktiven Studierenden der Biologie und von Botanikliebhabern, besonders aber den Autoren der vorliegenden Texte und dem Verlag Paul Haupt zu grossem Dank verpflichtet, dass sie etwas von diesen Aufgaben übernommen haben und sie auch verwirklichen.

Köniz, im Dezember 2005
Prof. em. Dr. Otto Hegg
Ehemaliger Direktor
des Botanischen Gartens
der Universität Bern