Dschihad Calling (eBook)

Roman
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2015 | 1. Auflage
320 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42928-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dschihad Calling -  Christian Linker
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Jetzt im Taschenbuch Der 18-jährige Jakob greift ein, als ein Mädchen mit Gesichtsschleier von rechten Hooligans belästigt wird - und verliebt sich in die blauen Augen der Unbekannten. Auf einem Pressebild erkennt er sie später wieder: Samira ist Mitglied eines Salafisten-Vereins. Trotzdem versucht Jakob Kontakt aufzunehmen und gerät so an Samiras Bruder Adil, der mit den Gotteskriegern des Islamischen Staates sympathisiert. Obwohl für Jakob zunächst undenkbar, fühlt er sich doch angezogen vom Gedankengut und der Lebensgemeinschaft der Salafisten. Dagegen stoßen ihn die Kälte und Konsumorientiertheit seiner eigenen Umgebung immer mehr ab. Jakob radikalisiert sich, bricht alle alten Kontakte ab und konvertiert. Aber will er wirklich mit Adil nach Syrien ziehen?

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.

21. Oktober


Die Augen waren von einem verstörenden Blau. Man sah nur die und sonst nichts von ihr, denn ein samtschwarzer Schleier verhüllte den Kopf, verbarg das Gesicht und fiel auf die Schultern herab. Sie trug einen taillierten grünen Ledermantel und verwaschene Jeans, die Füße steckten in knallroten Docs. Sie war pure Provokation. Auch die Art, wie sie ging. Jeder beschleunigt in dieser Unterführung seine Schritte, um mit angehaltenem Atem durch die im künstlichen Licht dampfenden Pisseschwaden zur anderen Seite des Bahndamms zu tauchen. Sie nicht. Sie schritt auf seltsam würdevolle Art an mir vorüber. Ganz kurz begegneten sich unsere Blicke, schon waren wir aneinander vorübergegangen, und ich hätte mich nicht getraut, mich umzudrehen und ihr nachzusehen, wenn nicht die beiden Typen aufgetaucht wären.

»Der Winter kommt«, sagte der eine mit dem Bürstenschnitt eine Spur zu laut.

»Yep«, schnalzte sein Buddy aus der Kapuze seiner Hollister-Jacke, »da läuft schon ein Pinguin frei rum.«

Ihre Blicke fixierten die Frau wie in einem Schraubstock. Sie kamen genau auf mich zu, aber für sie war ich Luft oder ein Teil der ranzigen Fliesenwand. Ich ging langsamer. Sie marschierten in langen Schritten vorüber, um die Verschleierte einzuholen. Ich blieb also stehen und drehte mich um. Niemand war hier außer uns vieren. Der winzige Kiosk am anderen Ende des Tunnels hatte längst geschlossen. Angsträume nennt man solche Orte, hab ich mal gelesen, vor allem an einem späten Herbstabend, aber die Frau hatte keine Angst. Oder sie zeigte sie nicht. Ich jedenfalls hatte welche, denn ganz unvermittelt war mir klar geworden, dass es auf mich ankam. Meine Hand fuhr in die Hosentasche, fühlte das Handy.

»Ob man unter so ’ner Kutte einen Sprengstoffgürtel verstecken kann?«, höhnte der Bürstenschnitt.

Schon hatten sie sie von rechts und links überholt, bauten sich vor ihr auf.

»Mal sehen«, feixte der mit der Kapuzenjacke, doch dann schien er für einen Moment irritiert. Er hatte nicht mit diesen Augen gerechnet. »Bist du etwa ’ne Deutsche?«

Sie war stehen geblieben. Ich ließ das Handy los.

»Sag was«, knurrte der Bürstenschnitt. »Bist du eine kleine Türkenhure, die sich von ihrem Moslemstecher ein Kind nach dem andern machen lässt? Hä? Viele kleine Kämpfer für den Heiligen Krieg?«

Sie stand kerzengerade da, sagte nichts, wich nicht aus. Ich setzte mich in Bewegung. Es waren bullige Kerle. Vielleicht Hools oder nur zwei dumme Atzen mit Langeweile, egal – sie würden mir alle Knochen brechen. Es sei denn, mir fiele was ein. Ich ging mit großen Schritten auf sie zu.

»Hey, hallo. Gut, dass ich euch treffe.« Sie glotzten blöde. Ich umrundete sie ebenfalls und sie mussten sich zu mir herumdrehen. »Ich hab da eine Frage und ihr könnt mir bestimmt helfen.«

»Was soll das?«, schnaubte Bürste. »Verkack dich, du Spacko.« An seiner rasierten Schläfe trat eine Ader hervor. Kumpel Kapuze trug ein Drachentattoo links am Hals. Vielleicht würde ich sie später mal beschreiben müssen. Zwischen den beiden Visagen, eine knappe Armlänge hinter ihnen, leuchteten diese Augen. Leuchteten für sich allein, verrieten keine Reaktion.

»Vielleicht kennt ihr euch damit aus«, begann ich und musste mich räuspern. Mein Mund war plötzlich staubtrocken. »Also – was findet ihr besser: Manndeckung oder Zonenverteidigung?«

»Bist du ein Idiot oder was?«, blaffte Kapuze.

Ja, wahrscheinlich schon, dachte ich, aber wirklich idiotisch war die Verschleierte, wenn sie jetzt nicht endlich von hier verschwand.

»Es ist doch so«, fuhr ich fort. »Zone ist viel effektiver, aber wenn du einen Moment nicht aufpasst, kommt der Gegner ganz easy zum Layup.«

Die beiden tauschten einen Blick und Bürste meinte: »Diese Schwuchtel hier will uns verscheißern.« Und zu mir: »Alter, was laberst du?«

»Basketball«, antwortete ich. »Ich rede von Basketball. Ich bin noch ziemlich neu in Bonn und – sagt mal, das ist hier doch ’ne Basketballstadt, oder nicht?« Warum lief sie nicht weg? »Da kann ich doch mal ein paar Leute nach Tipps fragen. Wann würdet ihr zum Beispiel einen Gegner lieber doppeln?«

»Wir können gleich mal deine Fresse doppeln, wenn du unbedingt willst«, feixte Kapuze.

Bürste musste lachen und ich auch, verrückterweise, ich bekam einen richtigen Lachflash aus lauter Angst und Übermut, lachte wiehernd über diese völlig absurde Situation, in der man echt nicht sagen konnte, ob mein Plan aufging oder ob ich im nächsten Augenblick mit Kieferbruch in einer Pfütze läge. Ich lachte in ihre fassungslosen Fratzen, bis mir fast die Tränen kamen, und konnte erst aufhören, als sich am anderen Ende der Unterführung Lärm erhob. Es waren aufgekratzte Frauenstimmen, schon tauchten sie auf – ein Damenkränzchen, vielleicht zehn oder zwölf Frauen um die fünfzig, die sich die Kragen ihrer Pelzimitate vors Gesicht hielten und dabei fröhlich weitergiggelten.

Bürste schnallte als Erster, dass die Sache hier gelaufen war. »Toll, Mann«, knurrte er und sein bulliger Körper erschlaffte. Er machte kehrt, schob die Hände in die Hosentaschen und Kapuze folgte ihm. Gemächlich trollten sich die beiden. Die Verschleierte aber tat, ohne mich noch einmal anzusehen, zwei Schritte zur Seite. Elegant glitt sie in den Strom der sektseligen Kegelschwestern oder was immer für ein Klübchen da gerade auf dem Heimweg war, und ließ sich davontragen. Ich blieb zurück und stand plötzlich ganz allein in der Unterführung, wie aus einem seltsamen Tagtraum gerissen. Gern wäre ich noch stehen geblieben und hätte dem Traum ein wenig nachgespürt. Aber dann fiel mir ein, dass die beiden Hools noch einmal auftauchen konnten. Ich setzte mich in Bewegung, ging in den Nieselregen hinaus und blieb erst an einer etwas belebteren Ecke stehen. Menschen betraten oder verließen Kneipen, Taxis parkten am Straßenrand, hier konnte mir nichts passieren. Ohne auf die Nässe zu achten, lehnte ich mich erschöpft gegen einen Stromkasten und steckte mir einen Kaugummi in den Mund. Was für eine tollkühne Aktion. Mann! Ich war ein verdammter Held! Unwillkürlich sah ich mich um. Niemand verlangte ein Autogramm. Ich kaute, atmete tief ein und aus und fühlte frische Kraft im ganzen Körper. Es funktionierte tatsächlich. Paradoxe Intervention hatte das der Trainer genannt, der vor ein paar Jahren bei uns in der Schule so ein Deeskalationstraining geleitet hatte. Ich war im Rollenspiel seine Versuchsperson gewesen, hatte das witzig gefunden, aber nie im Leben damit gerechnet, dass es mir mal eines Tages wirklich was nützen würde. Schade, dass mich niemand dabei gefilmt hat, dachte ich. Und sie? Kein Wort des Dankes. Ich hätte wenigstens gern gewusst, wie ihre Stimme klang. Wie alt mochte sie sein? Die Augen hatten sehr jung ausgesehen, aber was sagte das schon. Sie würde mich nicht loslassen, das wusste ich. Nicht, bevor ich herausgefunden hatte, wer sie war. Auch wenn das unmöglich schien. Ich biss mir beim Kauen auf die Lippe. Das tat weh. Ärgerlich spuckte ich den Kaugummi zu dem faulenden Laub in den Rinnstein und machte mich auf den Heimweg.

 

Zu Hause empfingen mich der Duft von gebratenem Kürbis und das vorwurfsvolle Gesicht von Liz.

»Endlich«, brummte sie.

Auf dem großen Küchentisch unserer WG war für zwei Leute gedeckt. In einer Vase standen frische Herbstblumen in satten Farben.

»Wollten wir so was nicht lassen?«, fragte ich sie.

»Was – so was?«

»Na, mit dem Essen aufeinander zu warten. Die Wäsche vom andern mitzuwaschen. Solche Sachen.«

»Ich find’s eben schön, mit dir zu essen«, erwiderte sie. »Und es ist ja wohl nichts Unnormales dabei, wenn zwei WG-Bewohner zusammen zu Abend essen.«

»Nee«, gab ich zu und setzte mich. »Es sieht außerdem köstlich aus.«

Und so schmeckte es auch. Liz war eine vorzügliche Köchin. Aber eben keine normale Mitbewohnerin, sondern meine Freundin. Meine große Liebe. Jedenfalls bis wir zusammengekommen waren. Auf der Klassenfahrt in der Zehnten hatten wir mal geknutscht und waren dann zwei Jahre lang umeinander herumgekreist wie zwei gravitativ aneinander gebundene Sterne. Mal hatte ich kurzzeitig eine Freundin, mal fing sie was mit einem Typen an, alles nichts Ernstes, als würden wir in Wahrheit aufeinander warten. Beim Abiball standen wir uns plötzlich gegenüber. Eigentlich, um Abschied zu nehmen. Denn ich wollte für ein halbes Jahr nach Nigeria, als Freiwilliger für eine Hilfsorganisation. Aus unserem Abschiedskuss wurde eine wilde Liebesnacht und plötzlich waren wir doch noch ein Paar geworden. Ich dachte nicht viel darüber nach, denn drei Wochen später sollte mein Flieger gehen. Doch dann brach Ebola in Westafrika aus und die Hilfsorganisation sagte meinen Einsatz ab. Plötzlich brauchte ich so was wie einen Studienplatz. Ich hätte natürlich auch hier in Deutschland irgendwo einen Freiwilligendienst machen können, aber das wäre nicht dasselbe gewesen. Liz wollte nach Bonn, um Deutsch und Bio auf Lehramt zu studieren. Sie hatte sich natürlich längst um ein Zimmer gekümmert. Und als in ihrer WG kurzfristig was frei wurde, schlug sie mir vor, dass wir doch eine Weile zusammenwohnen könnten. Also zumindest Tür an Tür. Vorübergehend. Und so zog ich, anstatt nach Afrika zu gehen und die Welt zu retten oder wenigstens in eine aufregende Stadt, wo ich mich ins Partyleben hätte stürzen können, zu meiner Freundin nach Bonn und schrieb mich für VWL ein. Es war die einfachste Lösung gewesen. Wie eigentlich immer in meinem bisherigen...

Erscheint lt. Verlag 18.12.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Ausbildungslager • Bonn • Deutschunterricht • Dschihad • eBook • Fanatismus • Fundamentalismus • Gotteskrieger • IS • Islam • Islamischer Staat • Islamisten • Jugendroman • Junior • Klassenlektüre • Köln • Konversion • Konvertiten • Krieg • kulturpass • Leseförderung • Liebesgeschichte • Literaturunterricht • Phänomen • Radikalisierung • Roman für Schüler • Salafismus • Salafisten • Schule • Schullektüre • Schullektüre 10. Klasse • Schullektüre 9. Klasse • Schullektüre Deutsch Klasse 9 bis 10 • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Selbstmordattentäter • Syrien • Terrorismus • Unterrichtslektüre • Unterrichtsmaterial • Unterrichtsmodelle
ISBN-10 3-423-42928-3 / 3423429283
ISBN-13 978-3-423-42928-3 / 9783423429283
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